Die Unzuverlässigkeit der Presse

Wie bereits angedeutet, muss ich mich etwas über die Presse aufregen, also haltet euch fest und passt gut auf.

Ich mag das australische Outback; da ist es schön warm, es ist wenig los und es gibt allerlei lustige Beuteltiere wie Echidnas und Wombats und Wallabys. Eine feine Sache, das. Manchmal geht aber jemand im Outback verloren, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Also, ich bin nicht verloren gegangen, aber ein Mädchen aus unserem Tourbus damals. Sie ist nach dem Feuerholzholen nicht mehr im Bus aufgetaucht. Zum Glück wurde nachgezählt. Wir haben sie dann gesucht und nach ihr gerufen und gehupt und der Helikopter stand schon bereit, als sie nach vielleicht einer Stunde wieder weiter vorne auf die Straße gestolpert ist. Sie war etwas traumatisiert, aber es ging ihr gut und wir haben gelernt, wie gefährlich das Outback ist.

Aber hier geht’s ja nicht um mich, sondern höchstens um mein leicht morbides Interesse daran, wann immer ein Fall durch die Presse geht, bei dem jemand im Outback verloren geht. Das passiert erstaunlich oft. Da hätten wir:

  • Paddy Moriarty, der aus Larrimah verschwunden ist. Über ihn gibt es inzwischen einen Podcast und alle spekulieren, ob er mitsamt seinem Hund von der Nachbarin umgebracht und in einen Meat Pie gebacken wurde.
  • Yann Buriet, der im Kakadu-Nationalpark campen wollte und desen Auto ein paar Tage später noch immer auf dem Parkplatz stand, sodass die Park Ranger eine große Suche eingeleitet haben. Man hat ihn dann in einer Höhle gefunden, in der er nur beim Campen war und philosophische Kinderbücher geschrieben hat.
  • Wilfred und Gisela Thor, ein deutsches Ehepaar Mitte 70, die sich auf einem kurzen 2km  Weg verlaufen haben, weil zwei Wochen vorher ein Zaun und ein Schild von einer Flut weggespült worden waren. Sie wurden nach fünf Tagen tot aufgefunden. Sie hatten auch kaum Wasser dabei und sind wohl an Hitzschlag oder Dehydrierung gestorben.
  • Monika Billen, eine 62-jährige deutsche Touristin, die an Neujahr 2019 zuletzt lebend gesehen wurde und über zwei Wochen später tot unter einem Baum gefunden wurde.
  • Alex Rosenberg, ein 67-jähriger Queenslander, der 2018 bei Edith Falls verloren gegangen und seitdem nicht mehr aufgetaucht ist.
  • Deborah Pilgrim, eine 55-Jährige, die ebenfalls verloren gegangen ist, die allerdings gefunden wurde, nachdem sie “SOS” in einen Garten geschrieben hat, den der Besitzer aus 70km Entfernung mit einer Kamera überwacht hat.

Vor Kurzem sind nun wieder ein paar Leute abhanden gekommen, nachdem sie mit dem Auto in der Nähe von Alice Springs steckengeblieben sind, und eine von ihnen wurde nach 12 Tagen im Outback lebend gefunden. Dazu gab es nun also viele Meldungen in der Presse, die ich alle staunend gelesen habe. Und wenn man das macht, findet man auf einmal jede Menge widersprüchliche Aussagen und merkt, dass die Presse manchmal einfach irgendwas schreibt – vielleicht ist es wahr, vielleicht auch nicht.

Was passiert ist

Tamra McBeath-Riley, Claire Hockridge, Phu Tran und Frau McBeath-Rileys Hund Raya sind mit ihrem Auto von Alice Springs aus nach Süden gefahren, da sind sich die Zeitungen schon mal fast einig.

Freunde, Bekannte, Partner, Männer oder Frauen

Einige Zeitungen sprechen von drei Freunden, die zusammen unterwegs waren, einige von Bekannten und einige konkretisieren, dass Tamra McBeath-Riley Claire Hockridges Partnerin war. Die Welt sprach von “drei Frauen”, bevor der Artikel aktualisiert wurde, die Süddeutsche merkte ebenfalls vor der späteren Korrektur an: “Nach zwei weiteren Frauen, Claire Hockridge und Phu Tran, wurde am Montag noch aus der Luft gesucht.”

Finke oder Hugh River

Einig sind sich die Zeitungen auch, dass die drei in einem Flussbett steckengeblieben sind. Laut BBC, The Sun und The Guardian war es der Hugh River, laut ABC, der Mitteldeutschen Zeitung, Watson, Daily Mail und RTL.de war es der Finke River. Die beiden Flüsse sind laut Google Maps nicht so weit auseinander, aber ein Unterschied ist es ja trotzdem.

Wer ging wann wohin

Anschließend blieben die drei 3 Tage lang beim Auto, buddelten sich unter dem Auto zum Sonnenschutz ein und warteten auf Rettung. Sie hatten sechs Liter Wasser, 10 Dosen “Iced Vodka”, ein Päckchen Kekse und Rindfleischnudeln dabei. Was man halt für einen Tagesausflug mitnimmt.

Als die Vorräte aus waren, haben sie eine Notiz im Auto hinterlassen, wo sie hingehen, und haben eine Meile entfernt ein Wasserloch gefunden, aus dem sie das Wasser abgekocht und durch ein T-Shirt gesiebt getrunken haben, so Sky. Laut ABC war das Wasserloch westlich vom Auto und sie sind dort eine knappe Woche geblieben, bis Claire und Phu beschlossen haben, sich Richtung Alice Springs oder Stuart Highway (bzw. “nach Norden”) auf den Weg zu machen. Tamra ist am Wasserloch zurückgeblieben, weil sie dachte, dass ihr Hund den Weg nicht überlebt. (Bei RTL klingt es so, als ob die beiden kurz nach dem Steckenbleiben losgezogen wären, Tamra sich alleine unter dem Auto eingebuddelt hätte und dann im Auto sitzend gefunden worden sei.)

Phu Tran und Claire Hockridge wollten nachts gehen, wenn es nicht so heiß ist, und hatten entweder sechs (ABC, Sky, Daily Mail) oder sieben (Süddeutsche) Liter Wasser dabei. Außerdem hatten sie einen Kompass und ein TomTom-Navigationssystem dabei.

Wann verließen sie das Auto

Laut The Guardian war im steckengebliebenen Auto eine Notiz vom 21. November, dass sich die drei in unterschiedliche Richtungen aufgemacht hätten. Das ist komisch, denn irgendwo stand auch, dass sie nach den drei Tagen erst mal eine Notiz hinterlassen hätten, wo sie hin sind, und da sind sie ja nur eine Meile entfernt zum Wasserloch. Also wie kann in der Notiz vom 21. November schon stehen, dass die zwei anderweitig unterwegs waren, wenn sie das damals noch gar nicht beschlossen hatten?

Aber so genau kann man es nicht sagen, denn es kommt darauf an, wann sie zu ihrem Tagesausflug aufgebrochen sind. Das war entweder am 19. November (Daily Times, The Sun, New York Times, ABC, Canberra Times, Mitteldeutsche Zeitung) oder am 23. November (Daily Mail). Naheliegend ist, dass die Daily Mail das Aufbruchdatum mit dem Datum verwechselt hat, an dem sie vermisst gemeldet wurden.

We didn’t think anybody was searching for us

ABC zitiert Tamra Beath-Riley mit den Worten: “We didn’t think anybody was searching for us.” Das kommt aus dem Zusammenhang, dass sie lange beim Auto und dann beim Wasserloch ausgeharrt hatten, wie es einem allgemein auch geraten wird, wenn man verloren geht. Die Entscheidung, sich zu trennen und Hilfe zu holen, war dann keine einfache. Phu und Claire wollten zusammen losziehen, weil es zu zweit einfach sicherer ist. Was Tamra also sagt ist, dass nach der langen Zeit, in der keine Hilfe kam, davon auszugehen war, dass auch niemand nach ihnen sucht, also: “Wir dachten nicht, dass jemand nach uns sucht.”

Die Süddeutsche sagt, “Sie hätten nicht gewusst, dass jemand nach ihnen suche.” Ähnlich zitiert RTL Tamra mit den Worten: “Wir haben nicht gedacht, dass jemand nach uns gesucht hätte.” Ich lasse das einfach mal so stehen – meiner Meinung nach trifft beides den Sinn des ursprünglichen Zitats nicht.

Fotos

Ebenfalls nebenbei angemerkt sei noch, dass die Alice Springs News Fotos der drei veröffentlicht hat, die wie Polizeifotos aussehen. Das aber nur am Rande. Auf den anderen Seiten gibt es andere Fotos, die laut Quellenangabe von der Polizei kamen, und vermutlich von der Familie bei der Vermisstmeldung weitergegeben wurden.

Trauriges Ende

Es ist also festzustellen, dass die Presse manchmal einfach irgendwas schreibt und es macht sich scheinbar auch niemand die Mühe, das noch mal zu prüfen. Das wissen wir zwar spätestens seit dem Fall Relotius, aber ich fand es trotzdem etwas schockierend.

Um die Geschichte noch zu Ende zu erzählen: Tamra McBeath-Riley wurde also beim Wasserloch gefunden, dem Hund geht es offenbar auch gut. Einige Tage später wurde Phu Tran entgegen jeder Erwartung von einem “pastoralist”, also quasi einem Viehzüchter, gefunden. Er war dehydriert aber es geht ihm gut. Etwas später hat man dann eine Frau tot aufgefunden, die mit großer Wahrscheinlichkeit Claire Hockridge ist. Man las überall, dass die offizielle Identifizierung noch ausstand, aber seitdem gab es kein Update mehr und ich nehme mal an, dass sich auch niemand die Mühe noch machen wird. Es ist auf jeden Fall sehr traurig, dass man sie zu spät gefunden hat und dass sie am Ende nicht bei Phu Tran geblieben ist, denn dann wäre sie sicher auch gerettet worden.

Wie man sich im Outback schützt

Abschließend hab ich noch ein paar Gedanken zum Thema, wie man sich vielleicht im Outback schützen kann, wenn man verloren geht, bzw. wie man sich vielleicht am besten retten kann.

Als wir damals im Outback waren und nach unserer Begleitung gesucht haben, blieb ich beim Bus und habe laut gehupt, in der Hoffnung, dass das Mädchen die Hupe hört. Hat sie aber nicht – und die, die sie im Busch suchen gingen, meinten dann, dass man die Hupe nach einigen Metern gar nicht mehr gehört hätte und es etwas gruselig war, weil man ja nicht sicher sein konnte, dass man nicht selbst auch verloren geht.

Ich habe dann vorgeschlagen, dass jeder einen Stock hinter sich herzieht, um eine Spur in den Wüstensand zu machen, der man notfalls folgen kann. Ob so eine Spur letztlich dem Mädchen beim Finden der Straße geholfen hat, ist zwar unklar, aber ich denke, das wäre eventuell auch eine gute Idee, wenn man verloren ist. So muss nur jemand die Schleifspur finden, dann kann man der ja in beide Richtungen nachlaufen.

Außerdem würde ich, wenn ich im Outback verloren bin, versuchen, mit Steinen oder sonstigem Kram “SOS” auszulegen oder irgendwo hinzukratzen. Das Outback ist groß und bei einer Suche mit dem Hubschrauber, sieht man so ein SOS vielleicht und kann den Suchradius eingrenzen. Vielleicht noch einen Pfeil daneben, in welche Richtung man gelaufen ist… schon haben Retter einen Anhaltspunkt.

So würde ich es wohl machen, falls ich im Outback stranden sollte – hoffentlich mit viel Essen und genug Vodka-Mischgetränken im Gepäck.

(Foto von Danya Gutan von Pexels)

 

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